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Franz Josef Degenhardt

„wo wir uns finden, unter den Linden und anderswo ... ”

Franz Josef Degenhardt zu seinem 90.

Dieses anderswo waren für uns die Düsseldorfer Rheinwiesen am 22. September 1974, beim 1. UZ-Pressefest der DKP. Und diese schöne Zeile hatte er übernommen aus dem schönen „Kein schöner Land in dieser Zeit” in sein eigenes, schönes, das da hieß „Ja, dieses Deutschland meine ich”.

Franz Josef Degenhardt also, der am 3. Dezember 90 Jahre alt wäre.

44 war er, als ich ihn kennenlernte. Seine Lieder kannte ich vorher. Sie haben beeinflusst, was ich empfinde, meinen Geschmack geprägt, was schön ist, was Leben ist, was Leben ausmacht.

Zum Pressefest in Düsseldorf: Ich hatte gerade auf der Nachbarbühne mit meiner Gruppe Jahrgang 49 gesungen und hörte ihn nun mit seiner Laudatio auf die DDR: Ja, dieses Deutschland meine ich. So etwas schrieb in bundesdeutschen Gefilden keiner außer ihm. Ich fand es ein bisschen romantisch, war aber zugleich tief gerührt. Ich sagte ihm, dass ich aus eben dem Deutschland komme, und so begann eine lange Freundschaft.

Natürlich liebte ich seine Lieder, konnte sie auswendig, alle, noch vor den „Schmuddelkindern”, die dann die Hymne der Studentenbewegung werden sollte. Sein Kollege Dietrich Kittner sagt über ihn: „Franz Josef Degenhardt hat mit seinem Werk das Lebensgefühl einer ganzen Generation geprägt. Mehr kann ein Liedermacher und Romancier sich kaum wünschen. Der Nobelpreis wäre da angemessen”.

Ja, das wäre ein gutes Geschenk an den, der alle beschenkt hat, die gute Lieder brauchten und am Zeitgeschehen interessiert sind. Wir also. Wir nämlich können in seinen Liedern Geschichte lernen, besonders bundesdeutsche linke Geschichte, die der Intellektuellen und zunehmend die der Arbeiter und das mit Genuss. Und wir können dabei lernen den langen Atem des Musterkonspirateurs Joss Fritz, von Engels so genannt, und von Degenhardt beschrieben in der Ballade vom Bauernführer Joss Fritz oder Die Legende von der revolutionären Geduld und Zähigkeit und vom richtigen Zeitpunkt.

Es ist übrigens das erste seiner Lieder, das ich bei Jahrgang 49 gesungen habe, schwer und großartig. Darüber hinaus aber hatte ich so viele Favorits, Umleitung, Nostalgia, Wenn der Senator erzählt. Auf seinen Platten gab es keine Durchhänger. Seit Brecht und Heine, mit denen ich aufgewachsen war, hatte mich niemand ähnlich überzeugt durch solche Klarheit im Denken, Schönheit in der Poesie und Rasse im Singen. Freilich hatte er mein Lob nicht nötig. Alle namhaften Liedermacher sahen in ihm den „Altmeister”, Konstantin Wecker hält ihn für „einen der bedeutendsten Poeten der deutschen Nachkriegsgeschichte.” Reinhard Mey: „Wir waren seine Schüler.
Er hatte den Stein der Weisen schon gefunden, wir suchten noch danach”. Viele seiner Lieder wurden zu Klassikern des politischen Liedes, brachten uns Poesie bei und „Zwischentöne”, die er ganz früher für den Klassenkampf mal ablehnte und die dann stilbildend wirkten für das Liedermachen bis heute.

Wir lernten uns recht schnell kennen. Er war oft hier, es wurde eine Freundschaft, die erst mit der Wende einen kleinen Schnitt bekam. Natürlich gehörte ich, wie viele Menschen in der DDR, am Ende der achtziger Jahre zu den „Gorbi-Fans”. Durchsichtigkeit von Politik, das hätte auch ich für unser Land gebraucht. Degenhardt war klüger, er hielt ihn von Anfang an für einen Sozialdemokraten. Du trägst wohl auch so ein Gorbi-Hemd? Fragt er mich. Da war ich sauer. Später dann sind wir uns wieder näher gekommen.

Er will alles wissen, über die DDR, das Festival, über mich. Als ich ihn in den ersten Jahren zum Flughafen, dem uralten Schönefelder, bringe und wir, da noch ein bisschen Zeit, auf der Bank sitzen, guckt er sich um und findet das alles so schön. Auf meine Frage, wieso er denn diese alte Bruchbude schön findet, sagt er, weil sie so einfach ist. Ich bin sprachlos, und traurig, weil er fliegt.

Seine Lieder füllen fünfundfünfzig Alben, er schrieb acht Romane, hat Preise erhalten und Berufsverbote. Beim Bremer Rundfunk debütierend, aber, wissend, dass mit Liedern allein die Gesellschaft nicht zu verändern ist, verteidigt er als promovierter Rechtsanwalt der Außerparlamentarischen Opposition – aus Protest ohne Robe – die Baader-Meinhof-Gruppe und Sozialdemokraten und Kommunisten, die unter Berufsverbot stehen. Deren Erfahrungen wird er bald selber machen, denn seine Lieder sind in den öffentlichen Rundfunkanstalten ab Ende 1970 verboten. Dann, 1971, schließt ihn die SPD aus, weil er – entschiedener Verfechter der Aktionseinheit zwischen SPD und DKP – dazu aufrief, bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, die Zweitstimme der DKP zu geben. Seine Figuren Rudi Schulte, Mutter Mathilde und Natascha Speckenbach sind schon lange dabei. Und 78 wird auch Degenhardt Mitglied der DKP. Das zog nach sich, dass ihm, außer bei Polydor, meist andere dieses Faches vorgezogen werden, die nicht annähernd seine Brillanz erreichen. Das mal nachgetragen, weil die Geschichte so schnell vergisst.

Am 14. November 2011 ist er gestorben, in Quickborn, wo ich ihn einmal besucht habe und seine liebenswürdige, kluge Frau, Margret, kennenlernte. Heute mag der Mainstream ihn immer noch nicht, dennoch zählt er zu den bekanntesten Liedermachern Deutschlands, und das mit internationalem Ruf.

Gina Pietsch

(erstgedruckt im Dezember 2021 in junge Welt)

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