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Gisela May

Dank an eine Lehrerin

Wir in der DDR hatten nicht viele Stars, solche für die Welt schon gar nicht. Sie war ein Star, für uns und für die Welt. Das hat ihr Können bewirkt, und die Zeit hat es befördert. Ihre Reisen in die große Welt bis in die New Yorker Met fanden eben statt zu Zeiten, in denen man sich für dieses kleine Ländchen DDR interessierte, das Brecht als einziges in der Welt Heimstatt und Arbeitsmöglichkeit gegeben hatte. Brecht also, ein großer Interessenförderer, dem alle, die ihn zu seiner Zeit und danach auf die Bühne brachten, zu danken haben. Brechts „Schweyk im Zweiten Weltkrieg” war das erste Brechtstück, dessen weibliche Hauptrolle, die Wirtin des Gasthauses „Zum Kelch”, Frau Kopecka, Gisela May, spielte.
Hanns Eisler, der sie entdeckt hatte, schrieb ihr dafür wunderbare Lieder auf den Leib, und sie sang sie großartig, witzig, verschmitzt, klug, originär. Da ich diese Lieder heute auch alle singe, weiß ich, wie gut sie war. Und leicht lässt sich so mein Stolz erahnen, einige Zeit später ihre Schülerin zu werden. Wie kam das?

Nach Schauspielunterricht, einem Germanistik-, Musik- und Pädagogikstudium hatte ich das Glück, im Jahre 1974 ein Zusatzstudium an der Berliner Hochschule für Musik zu bekommen, wozu – leider nur ein Jahr – Interpretationsunterricht bei Gisela May gehörte. Sie, damals für mich die größte Brecht-Interpretin, bewirkte, dass meine eigene Beschäftigung mit Brecht durchaus mit Ängsten verbunden war, oder, sagen wir, mit ungeheurem Respekt. Ich hörte oft: Brecht ist so groß und seine Komponisten sind so groß, dass man sich als Interpret völlig zurücknehmen muss.

Heute sehe ich das anders und kann mich dabei auf Interpreten wie Ernst Busch beziehen, der am dichtesten bei Brecht und Eisler war, aber durchaus seins hinzugegeben hat, oder auf Ekkehard Schall, den ich am besten kenne. Durch diese beiden bin ich besonders ermutigt worden, und heute sage ich meinen Schülern, es gibt für jeden Song so viele Interpretationsmöglichkeiten wie Menschen, die den Sinn verstehen, das Handwerk beherrschen und sich den Autoren mit Demut nähern. Natürlich fängt das alles mit einer klugen Auswahl an und einer, die die eigenen Fähigkeiten in Rechnung stellt. In der Zeit, als ich die May verehrte, habe ich ihre Sachen nicht gesungen, um nicht verglichen zu werden. Wenn man die frühen Aufnahmen der May mit den Brecht-Eislerschen „Wiegenliedern für Arbeitermütter” hört, merkt man, dass sie da „weigelt”. Nun ja, diese Lieder waren 1930 eben der Weigel auf den Leib geschrieben.

Ich habe zunächst also lieber die Songs gesungen, die ich von Ernst Busch kannte und mich so auch getraut, Leidenschaft in meine Interpretation zu bringen. Bei ihr, Gisela May selber, hatte ich im Unterricht neben vielem Andren etwas für die Bühne Wichtiges gelernt – Konsequenz. Die Geschichte hat was Kurioses. Ich arbeitete bei ihr ein Lied, das ich heute noch singe, Franz Josef Degenhardts große „Ballade vom Bauernführer Joss Fritz oder Legende von der revolutionären Geduld und Zähigkeit und vom richtigen Zeitpunkt”.
Joss Fritz wird hier geschildert als der Musterkonspirateur des Bauernkriegs, wie Engels ihn nennt, der selbst seine Sinnlichkeit einsetzt für die Kämpfe gegen die Fürsten. Er nutzt die schönen Buntschuhfeste zum agitieren, verkneift sich aber auch nicht, beim Tanz den Mädels an die „Punze” zu fassen. So der altdeutsch ausgeschmückte Text. Mir war das Wort irgendwie peinlich und ich verschluckte es deshalb fast beim Singen. Das ließ die May nicht durchgehen. Also, wenn Sie schon solche Wörter in den Mund nehmen, dann bitte richtig. Und wie recht sie hatte. Ich erinnere mich oft an diese Kritik, wenn ich unterrichte, 20 Jahre an der Busch, jetzt wieder an der Filmuniversität Babelsberg.

Natürlich hörte mein Lernen bei ihr nicht auf nach diesem bloß einem Jahr.
Ich habe keine ihrer Rollen und keine ihrer Konzerte, keine ihrer Schallplatten verpasst. Ich kenne jede ihrer Nuancen und kann sie heute hören ohne Angst vor Plagiat. Früher hab ich meine großen Lehrer manchmal als Last empfunden, weil, man nabelt sich schwer von ihnen ab. Heute ist es nur noch Glück, das ich empfinde. Danke Gisela.

Gina Pietsch

(erstgedruckt im BERLINER ANSTOSS, Januar 1917)

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