Das verdächtige Saxophon
Das Plakat einer Ausstellung am 24. Mai 1938 in München zum Thema „Entartete Musik” zeigt die Karikatur eines schwarzen Jazzers mit Zylinder und Davidstern, der mit seinen affenmäßig dicken Lippen Saxophon spielt. Also schwarz und Jude und häßlich und ein Jazzinstrument und gar nicht deutsch, also „entartet”. Dieser schwarze Musiker heißt „Jonny”, ist die Titelfigur aus der Oper „Jonny spielt auf” des jüdischen Komponisten Ernst Krenek, die am 10. Februar 1927 in Leipzig uraufgeführt und nach 421 Aufführungen in der ersten Spielzeit auch weltweit ein Erfolg wurde.
Ab 1929 begannen in München die Störungen bei Aufführung der Oper, nach 1933 wurde sie von den Nazis verboten und 5 Jahre später als eines der ersten Werke als entartet gebranntmarkt innerhalb des großangelegten faschistischen Vernichtungsangriff auf moderne Kunst und ihre Protagonisten. Dieser betraf alle Sparten der Kunst, Literatur, Film, Theater, Architektur und Musik, beginnend aber mit der bildenden Kunst am 19. Juli 1937, dem Tag der Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst” in München. 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen, von Meistern wie Max Ernst, Karl Schmidt-Rottluff, George Grosz wurden da mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleichgesetzt und mit Photos verkrüppelter Menschen kombiniert, um bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen zu erregen. Was nun sollte das sein: „Entartete Kunst”? Kunstwerke und kulturelle Strömungen, die mit dem Kunstverständnis und dem Schönheitsideal der Nationalsozialisten nicht in Einklang zu bringen waren: also Expressionismus. Impressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Kubismus, Fauvismus und nicht zu vergessen alles, was den Nazis als „jüdisch-bolschewistisch” galt.
„Entartet” also, ein Begriff, bei dem man sich auf Jean-Jacques Rousseau berufen konnte, der in seinem Erziehungsroman „Émile” 1762 diesen Begriff als „Abweichung vom Naturzustand” definiert, und den wohl erstmalig auf die Kunst übertragen der Romantiker Friedrich Schlegel in Bezug auf die sogenannte „Spätantike” benutzte.
Die Musik traf es 176 Jahre nach Rousseau, also am 24. Mai 1938 mit der schon erwähnten Ausstellung „Entartete Musik” in Düsseldorf. Die moderne Musik, Swing, Jazz, „Nigger-Jazz” genannt, wurde ebenso rücksichtslos diffamiert wie der „Musikbolschewismus” international bekannter Avantgardekomponisten. Diese Ausstellung war der Anfang. Am 20. März 1939 nämlich kündigte die Reichsmusikkammer an, dass unerwünschte Musikwerke, deren Verlegung und Aufführung verboten ist, künftig in einer Liste geführt werden, die dann mit Beginn des Krieges als Erste Liste unerwünschter musikalischer Werke veröffentlicht wird. Welches Werkes und welcher Künstler in der Musik nun „entartet” war, ließ sich nicht immer leicht feststellen. Der Davidstern auf dem Plakat erleichterte zunächst die rassentheoretische Begründung. Als entartet galt also bald die Musik nichtdeutscher, also jüdischer oder ausländischer Künstler, da deutsche Musik von Deutschen für Deutsche geschaffen und aufgeführt werden musste. Und zum Deutschen gehörte pflichtgemäß der Dreiklang und die Melodie, nicht aber Atonales und Dissonantes, das, ähnlich wie in der Malerei, schnell den Stempel des Kranken und Krankmachenden trug. „Volksnah und kämpferisch” wollte es Goebbels haben – und schlicht. Kurz: verboten also die Aufführungen sämtlicher, von „nichtarischen” Komponisten geschriebener Werke, so etwa von Arnold Schönberg, Kurt Weill, Hanns Eisler und Ernst Krenek. Denn: „Judentum und deutsche Musik, das sind Gegensätze, die ihrer Natur nach in schroffstem Widerspruch zueinander stehen”, so Goebbels anlässlich der Eröffnung der Düsseldorfer Reichsmusiktage 1938.
Aber auch Paul Hindemith, Anton Webern, Igor Strawinsky und viele andere innovative Klangkünstler, denen keine jüdische Abstammung nachgesagt werden konnte, verfemte, verunglimpfte und verfolgte die NSDAP wegen ihrer Abkehr von den herkömmlichen tonalen Strukturen als volksfern und entartet. Hintergrund des Ganzen und Ziel der Faschisten, Deutschland nicht nur politisch, sondern auch kulturell umzukrempeln, alles auszulöschen, was irgendwie an den Pluralismus der Weimarer Republik erinnern konnte. Dieses Auslöschen hatte Nachwirkungen, die nicht selten bis heute wirken.
Wie selten spielt wer Meisterwerke der in Kzs Ermordeten, wie „Der Kaiser von Atlantis” von Victor Ullmann oder die „Bassnachtigall” von Erwin Schulhoff.
Wie wichtig wäre, sie freizumachen von der Rubrik „KZ Musik”. Erinnern wir mit ihrer Musik an die 54 ermordeten und an die 221 ins Exil getriebenen Komponisten. Denn sie sind unsere Musik.
Gina Pietsch
(erstgedruckt in UNSER BLATT, VVN-BdA 2011)