Erich Kästner
„Bleib am Leben, sie zu ärgern”
zum 125. Geburtstag am 23. Februar 2024
Und er hatte Gründe, sie zu ärgern, der Dichter Erich Kästner. Zwei Weltkriege hatte er miterlebt, deren Vorbereitungen und Auswirkungen, ein Kaiserreich als Schüler und das größenwahnsinnige Dritte als ein verbotener, aber daheimgebliebener Schriftsteller. Wie wenig die eine Republik aus dem ersten, die andere aus dem zweiten großen Krieg gelernt hatte, war dem blitzgescheiten und wirklichen Dichter Kästner nicht nur klar, sondern immer Triebkraft, darüber zu schreiben.
Von seinem Freund und Kollegen Hermann Kesten erfuhren wir, dass er in Deutschland bleiben wollte, um Augenzeuge der kommenden Gräuel zu sein, also den Roman der Nazidiktatur zu schreiben. Stefan Heym zweifelte daran ein wenig: Macht Kästner sich etwas vor? Sieht er nicht, was da auf ihn zukommt? Glaubt er, man wird ihn verschonen, weil er zufällig kein Jude ist?
Natürlich sah er. Er stand ja selbst in der Menge, als seine Bücher auf dem Bebelplatz in den Flammen landeten, begleitet vom Feuerspruch: Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.
Und natürlich zeugt sein Werk von allem anderen als Blauäugigkeit, wenn er auch sicher nicht von Anfang an diesen unausdenkbaren, infernalischen Wahnsinn des Faschismus ahnen konnte, den er später nach dem Ansehen der amerikanischen Filme von der Befreiung der KZs sah. Was in den Lagern geschah, ist so fürchterlich, dass man darüber nicht schweigen darf und nicht sprechen kann.
Aber freilich schrieb er darüber, wenn es auch kein Roman wurde, wie sein „Fabian”, der bedeutendste Roman der Neuen Sachlichkeit. Wie ein Großteil seines Werkes war dieser Roman autobiografisch geprägt, und wie ein Großteil seines Werkes blieb er seinem Vorhaben treu, die Bösen und Beschränkten zu ärgern, weil sie die Meisten und die Stärkern waren, wie er empfand. Wenn es auch durchaus Kritiker gab, die Erich Kästner das nicht bestätigt hätten – er hat sie geärgert, Militaristen, Faschisten, Spießer, sogenannte Klassefrauen, Sergeanten und und und.
Und das hatte Gründe: Am 23. Februar
1899 zur Welt gekommen, in ganz kleinen Verhältnissen, wie er in seiner Autobiografie „Als ich ein kleiner Junge war”, schrieb.
Mein Vater war ein Facharbeiter und auch Sozialdemokrat natürlich. Ich habe als
Kind schon erlebt, wie die Arbeiter streikten und wie die berittene Gendarmerie
mit herausgezogener Plempe da auf die Leute losschlug, die dann mit Pflastersteinen die Laternen einschlugen, und ich habe heulend neben meiner Mutter am
Fenster gestanden. Mein Vater war da unten mit dabei.
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Der ein Moralist sein wollte
1895 zog die Familie nach Dresden um. Ida Kästner wurde Friseuse und nähte in Heimarbeit für eine Firma Leibbinden.
Meine Mutter war eine einfache Frau, und sie war eine herrliche Mutter. Sie war bald
fünfzig Jahre alt und hatte geschuftet und gespart, damit ich Lehrer werden könnte.
Nun war es soweit. Nun fehlte nur noch ein Examen, das ich in ein paar Wochen
spielend und mit Glanz bestanden haben würde. Und da sagte ich: „Ich kann nicht
Lehrer werden!” Meine Mutter stand unter der Lampe mit dem grünen Seidenschal
und den Perlenfransen und fragte: „Was möchtest du denn tun?” „An einem Gymnasium das Abitur machen und dann studieren”, sagte ich. Meine Mutter dachte einen
Augenblick nach. Dann lächelte sie und sagte: „Gut, mein Junge! Studiere.”
Aber da der Einschnitt: der Weltkrieg hatte begonnen und seine Kindheit beendet. Wenn man 17-jährig eingezogen wird, und die halbe Klasse ist schon tot, ist man noch weniger Militarist als je vorher.
Aber es blieb die Wut aufs Militär, auf die Rüstung, auf die Schwerindustrie und auf den
Sergeanten Waurich. Der hatte dem jungen Kästner beim Soldaten-Drill
das Herz versaut.
Das wird ihm nie verziehn.
Es sticht und schmerzt und hämmert laut.
Und wenn mir nachts vorm Schlafen graut,
dann denke ich an ihn.
Im Herbst 1919 begann Kästner in Leipzig das Studium der Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft, schrieb eine Dissertation zum Thema „Friedrich der Große und die deutsche Literatur” und wurde 1925 promoviert. Sein Studium finanzierte er schon bald aus eigenen Einnahmen als Journalist und Theaterkritiker für mehrere Leipziger Zeitungen. Er ist erfolgreich auf dem Weg, den er plante: Wenn ich 30 bin, will ich, dass man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bisschen berühmt. Obwohl das Berühmtsein gar nicht so wichtig ist. Aber es steht nun einmal auf meinem Programm. Also muss es klappen.
Und es klappte. Aus dem „kleinen Schriftsteller” wurde in wenigen Jahren eine der wichtigsten intellektuellen Figuren Berlins. Er publizierte seine Gedichte, Glossen, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Berliner Zeitungen, dem Berliner Tageblatt, der Vossischen Zeitung, der Weltbühne. Über 350 nachweisbare Artikel von 1923 bis 1933. Und er schreibt Gedichte, immer wieder, auch in Deutschlands verheerendster Zeit. Seine Verse werden von der Reichsschrifttumskammer der Nazis zur Begründung genommen, ihn dort auszuschließen. Als sein Rechtsanwalt sich mehrfach um sein Recht bemüht, erhält er die Antwort der zuständigen Abteilung: Ich bin erstaunt, dass ein nationalsozialistischer Rechtsanwalt den Versuch macht, die literarische Tätigkeit Dr. Kästners in der Zeit vor 33 abzuschwächen und als harmlos darzustellen. Es ist wohl kaum Schlimmeres in deutscher Sprache an zersetzendem geschrieben worden, als die Hunderte von pornografischen Gedichten Kästners über die Abtreibung, die Homosexualität und alle sonstigen Verirrungen. Kästner kann von Glück sagen, dass man im Jahre 1933 aus irgendeinem Grunde vergessen hat, ihn auf eine Reihe von Jahren in ein Konzentrationslager zu sperren und ihm so Gelegenheit zu geben, durch seiner Hände Arbeit sich sein Leben zu verdienen. Wer in einer solchen Weise wie Kästner vor 1933 literarisch hervorgetreten ist, hat ein für allemal das Recht verwirkt, noch jemals in deutscher Sprache zu schreiben.”
So etwas zog Gestapohaft und lebensgefährliche Bedrohung nach sich. Es reichte eben, dass er ein Moralist sein wollte, sozialreformerisch, aber mit spitzer Zunge, wunderbarem Humor und dem großem Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Hilfe, einer, der Sprechbühne und Kabarett eine Unzahl anrührender und witziger Texte schenkte, die Komponisten, Rezitatoren und Sänger anzogen. Zwischen 33 und 45 gibt es wenig davon.
Er, der erst spät Vater wurde, wird d e r Kinderbuchautor, „Emil und die Detektive” machen ihn weltberühmt, nicht zuletzt eine lebensrettende Maßnahme. Er schreibt für den Film, „Münchhausen” mit ein bisschen Sklavensprache, aber erfolgreich, da mit Hans Albers in der Hauptrolle. Und er schreibt Dokumentarisches, Kriegstagebücher und sein „Notabene”, alles zur Vorbereitung des dann doch nicht kommenden großen Romans über Deutschlands beschämendste Zeit. Danach: Er in München, da ausgebombt in Berlin. Die Zeiten haben sich geändert, aber seine Freude darüber muss sich in Grenzen halten. Dass er zusammen mit Dichterkollegen wie Ingeborg Bachmann, Peter Weiss, Heinrich Böll erfolgreich protestieren konnte gegen die Debatte zur Verjährung von Naziverbrechen, war mehr als nötig, denn die alten und neuen Nazis saßen schon wieder an entscheidenden Positionen. Und im Oktober 1965 gab es am Düsseldorfer Rheinufer auch wieder Bücherverbrennungen, organisiert vom Evangelischen Jugendbund für entschiedenes Christentum und gebilligt vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister. Und da ist der Vietnamkrieg, gegen den er, wie viele progressive Menschen, bei Ostermärschen protestiert.
Die Verpflichtung, ihn zu ehren
Um Erich Kästner wurde sich viel gestritten, und das geht bis heute, nicht über den
freundlichen Kinderbuchautor, nach dem über 50 westdeutsche Schulen benannt worden sind, nicht über witzig Erotisches in seinen Gedichten, wohl aber über den scharfsinnigen Kritiker deutscher Verhältnisse, den Antimilitaristen und Antifaschisten Erich
Kästner.
Da unterschieden sich schon die Schullesebücher der DDR und der BRD, und gesiegt
hat mit ihrer Kästner-Auswahl die Letztere. Also kein „Sergeant Waurich”, kein „Kennst
Du das Land, wo die Kanonen blühn”, kein „Marschlied 1945”. Schon deshalb bleibt
uns Verpflichtung, ihn zu ehren, nicht nur am 23. Februar 2024, seinem 125. Geburtstag, oder am 29. Juli 2024, seinem 50. Todestag.
Gina Pietsch
(Erstgedruckt in den Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, 2024)