CDs von Gina Pietsch

Titel:


  1. Die Städte sind für dich gebaut
  2. DER FLUSS LOBSINGT DIE STERNE IM GEBÜSCH Vom Schwimmen in Seen und Flüssen
  3. BALLADE VON DEN SEERÄUBERN
  4. Von der Kindesmörderin Marie Farrar
  5. GEGEN VERFÜHRUNG
  6. Laßt eure Träume fahren
  7. MORGENCHORAL DES PEACHUM
  8. Gut so, schlecht so
  9. 2. DREIGROSCHENFINALE
  10. Ratschläge einer älteren Fohse an eine jüngere
  11. 2. DREIGROSCHENFINALE
  12. DIE SEERÄUBER-JENNY
  13. DER KLEINE LEUTNANT DES LIEBEN GOTTES
  14. TERZINEN ÜBER DIE LIEBE
  15. Keinen Gedanken verschwendet an das Unabänderbare
  16. AN DEN KRAN KARL   An den Kran Karl
  17. Viele sagen, die Zeit sei alt
  18. 700 INTELLEKTUELLE BETEN EINEN ÖLTANK AN
  19. GEBT KEINEN EURESGLEICHEN AUF
  20. PÈRE JOSÈPHE
  21. Das ist gut
  22. DAS LIED VOM KLEINEN WIND   Das Lied vom kleinen Wind
  23. Empfehlung eines langen weiten Rockes
  24. DAS LIED VOM SURABAYA-JOHNNY
  25. Von den großen Männern
  26. DIE ERSCHRÖCKLICHE LEHRE UND MEINUNG DES HERRN HOFPHYSIKERS GALILEO GALILEI ODER EIN GESCHMACK DER ZUKUNFT
  27. Lob des Zweifels
  28. AUFBAULIED DER F.D.J.   Aufbaulied der FDJ
  29. WIE DER WIND WEHT
  30. Die Lösung
  31. GEGENLIED ZU „VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT”   Von der Freundlichkeit der Welt
  32. Ich benötige keinen Grabstein
  33. KINDERHYMNE

Gesamtlänge: 1:18:54
Der Brecht-Abend „Er hat Vorschläge macht ...” entstand im Auftrag des Berliner Literatur-Forums im Brecht-Haus.
Buch: Gina Pietsch
Diese CD bietet Ausschnitte aus dem Abend.
Produktion: Raumer Records, 2006

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Artwork: Ingo „Hugo” Dietrich

Wir danken Frau Barbara Brecht-Schall für ihre Freundlichkeit, den Umgang mit dem Werk ihres Vaters betreffend

Brecht - Vorschläge

Er hat Vorschläge gemacht

Gina Pietsch & Pianist

Ein neues Brecht-Programm auf einer CD

Gina Pietsch – Brechts Vorschläge betrachtend

Überlegungen zu einem Brecht-Abend, anlässlich seines 50. Todestages am 14. August 2006

Im Jahre 33 denkt der Dichter Bertolt Brecht über seinen Grabstein nach, findet, dass er keinen braucht, und schlägt denen vor, die so 'was wollen, darauf zu schreiben, So, meint er, könne mit ihm verfahren werden im Interesse vieler nach seiner Zeit. Der oft besuchte, schöne, rauhe Grabstein auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof spart, trägt nun nur seinen Namen, bescheidener, könnte man meinen, gemäß seinem anderen Vorschlag: „Allem, was Du empfindest, gib die kleinste Größe”. Vorschläge also: Seine Liebe zu diesen ist in seinem Werk nicht zu übersehen. Allein in der Lyrik kann man sie, meiner Zählung nach, in mindestens 200 Versen finden, über 40 Jahre Schaffen, den ersten von 1916, den letzten von 1956, die wechselnden Zeiten betreffend genauso, wie die Vielfalt, das Schwergewicht und die immense Zahl der Themen, in verschiedener Weise auch, von unverschämt bis abgeklärt, von witzig bis weise, von höflich bis unerbittlich, und alles in allem von unterschiedlicher Kraft der Einwirkung auf den Leser. Sein „Alles wandelt sich” betrifft so eben auch seine Vorschläge.

Unser Brecht-Projekt will das untersuchen, in Texten und Liedern, spielerisch also, mit dem Ziel, sein Leben zu erzählen als das des mit Vorschlägen in gesellschaftliche Prozesse Eingreifenden. Letzteres gilt freilich nicht für alle seiner Zeiten. Die frühen Vorschläge des jungen gutsituierten Fabrikdirektorssohnes animieren zum Gegenteil, zum Faulsein im „Beschwerdelied” aus Gymnasiastenzeiten, 1916, zum Gemütlich-und-Lässig-Gehen im Glückslied von 1919, zum Sich-Treiben-Lassen und Auf-dem-Rücken-Liegen wie im „Vom Schwimmen in Seen und Flüssen” aus dem selben Jahr kurz nach dem „Baal”, zum Nicht-zu-kritisch-sein im Jahre 1922. Ein Großteil der „Hauspostille” schlägt uns in hinreißender Weise das Rauchen, Saufen, Vögeln, Segeln, Schiffsschaukeln, Stopfen von Mädchen und Klettern auf Bäume vor und verführt mit manchmal abstruser Logik zum extensivem Genießen unter grünen oder roten Monden. Die Fragen, wer sich das leisten kann, kommen erst später, das Gedenken an die Opfer solchen Verhaltens, ertrunkene Mädchen, Kindesmörderinnen, deren „Leid groß war”, sind selten, aber desto anrührender. Dem großen Schlussvorschlag der „Hauspostille” „Gegen Verführung”, der uns heute noch wie ein Donnerschlag gegen Kirche und Bürgertum anmutet, steht sein „macht nur weiter so” gegenüber, das er "Politische Betrachtung” nennt, den Dichter spielend, den's „nicht weiter angeht”, das freilich mit dem so häufigen ironischen Unterton, uns überlassend, ob wir's glauben oder nicht. Sentimental kann er werden bei der Vorstellung. Rein. Sachlich. Böse genannt zu werden.

So denn auch der erste Vorschlag für seine Grabsteininschrift. Und dieses Reinsachlichböse kennzeichnet dann gleich nach der Hauspostille seine Verse „Aus einem Lesebuch für Städtebewohner”. Die geliebten violetten oder orangenfarbenen Himmel kommen nun nicht mehr vor. Berlin, wo es ihn hinzog, hat solche zu selten. Die Leute, von denen hier die Rede ist, sind „elendiglich und klein”, was sie aber nicht mehr auszeichnet. Er gibt jetzt weiter, was ihm „gelernt wurde”, Vorschläge, die wie Befehle klingen: „Verwisch die Spuren”, „Sage nicht laut, die Welt sei schlecht, sag es leise”, „Laßt eure Träume fahren...was hier gebraucht wird, ist Hackfleisch”. Das konnten nicht der Plärrer und Augsburg lehren. Und, so sehr er sich bis an sein Ende als Augsburger, also Provinzler, fühlen wird, das „Dickicht der Städte” in den Zwanzigern lehrt ihn anderes. Und das kann wechseln in den verschiedenen Zeiten, „Hier hast du ein Heim" kann morgen heißen „Du hast denen eigenen Teller” und am vierten Tage „Eine Nacht. Aber das kostet extra”.

Aus den Versen schlägt uns Härte, Kälte und Entindividualisierung entgegen, die uns heute mehr erschreckt, als es Brecht erschreckt haben soll. Der sprach, anders als Tucholsky, welcher Berlin als „nackt und brutal und mit einem saubern kleinen Willen zur Diktatur”, beschreibt, von der gleichen Stadt beim ersten Besuch 1920 noch als von einer „wundervollen Angelegenheit”. Und ähnlich wie in den eben zitierten „Vier Aufforderungen an einen Mann von verschiedener Seite zu verschiedenen Zeiten" wird sich seine Haltung verschärfen. 1921, sicher geprägt von ersten gescheiterten Versuchen, diese Stadt als Theatermann zu erobern: „Es ist eine graue Stadt, eine gute Stadt, ich trolle mich so durch. Da ist Kälte, friß sie.” Und noch 1930 wird er sagen, nach den verbrieften Erfolgen, wie dem der „Dreigroschenoper”, „Ich habe mich schwer an die Städte gewöhnt”. Im „Lesebuch für Städtebewohner” wird diese Kälte beschrieben, ohne Mitleid und Zorn. Nietzsche gelesen, drehen sich die Vorschläge jetzt ums Durchkommen und ums dadurch Starkwerden. Aber es beginnt auch, was sich dann bis an sein Ende durchzieht, die Ehrung des Nützlichen und die Notwendigkeit des Bleibens bei denen, die Unentbehrliches tun. „Setze also deinen Namen nicht auf die nicht abreißende Liste der Abgefallenen”, heißt es hier 1927 und wird es noch oft heißen, je mehr er sich hingezogen fühlt und Teil wird der Leute, die für mehr als für sich selber streiten. Und ebenso bemerkenswert und Zeichen für ein neues Denken bei Brecht das Schlussgedicht „Anleitung für die Oberen" mit seinem Vorschlag, den Unbekannten Soldaten zu ehren.

Das ansonsten fast Kokettieren mit Sachlichkeit, Schonungslosigkeit, Kälte und Härte prägt um die Jahre 26/27 vieles in seinen Werken. Großartig geschrieben und abschreckend durch fast pornografische Offenheit die „Rat”- oder Vor-"schläge einer älteren Fose an eine jüngere”, die als ein Interludium für "Baal" gedacht waren, den er nach der Uraufführung in Leipzig im Jahre 23 weiter anbieten wollte, mindestens Aufricht im Jahre 28.

Das Thema Prostitution, als Zuspitzung des Verkaufs menschlicher Ware wird ihn beschäftigen bis zur „Courage”, so auch in der Arbeit mit Kurt Weill und mit "Mahagonny”, das Anfang - als Songspiel - und Ende - als Oper - dieser für beide äußerst fruchtbaren Arbeit wurde. Hier wird zu hören sein der als Denunziation der Mahagonny-Utopie gemeinte, beim Publikum aber mehr kulinarisch verstandene "Alabama-Song" mit seinen simplen „Vorschlägen”, Whisky und Dollars zu finden, bevor es ans Ende geht. Innerhalb dieser kurzen Zeit von vier Jahren unterliegt Brechts Amerika-Bild einem enormen Wandel, von bedingungsloser Schwärmerei zu härtester Kritik, was bekannterweise seinen Studien der Vorgänge an der Weizenbörse Chicagos geschuldet ist. Da zieht nun die Industrie ein in seine Verse, schon in die Kinderlieder. „Kranlieder" schreibt er: „Beiß, Greifer, beiß”. Bis daraus mehr wird, dauert es noch. 1927 ist ein Sackgassenjahr, die Fragmente zeugen davon. Das „Ändere die Welt, sie braucht es”, so erst in der "Maßnahme" formuliert, fängt jetzt an bei „Fatzer”, genauer, dem Fragment gebliebenen Stück „Untergang des Egoisten Johann Fatzer”. Bis er an der Stelle weitermachen kann, was ihn mit zunehmenden Marx-Studien mehr beschäftigt, muss seine Kunst erst mal nach Brot gehen. Nicht ahnend, dass es beider Welterfolg wird, seiner und der Weills, entsteht die „Dreigroschenoper" mit ihren zu Betrug und Missetat als Geschäft oder Geschäft als Betrug und Missetat auffordernden "Vorschlägen" „Wach auf, du verrotteter Christ" oder „...nur auf seinen niedern Vorteil schauen”.

Im Übrigen sollte man den Menschen „auf den Hut hauen”, da „erst das Fressen und dann die Moral kommt” oder, wie es im ehemals für das Stück geplanten „Ehesong” heißt „auf alles einen Kognak" nehmen. Das kam, wie wir wissen, beim Bürger viel besser an, als geplant, und wurde dann in den Hits aus „Happy-End" mit „Rascher, Johnny, he” kulinarisch und höchst erfolgreich noch einmal fortgesetzt. Herausfällt aus der Darstellung vornehmlich zuhälterisch geprägter Beziehungen zwischen Mann und Frau - „zweitens kommt der Liebesakt” - auch in Brecht-Weills großem Streitobjekt „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” das Duett zwischen Jenny und Jim „Sieh jene Kraniche in großem Bogen!”. Schon vorher geschrieben, 1928, als „Terzinen über die Liebe”, gilt es in seiner Zartheit und dem gleichzeitig vorhandenen Realitätssinn bis heute als eines der schönsten Liebesgedichte unserer Literatur.

Der Streit der Autoren hatte bekannterweise nicht nur ästhetische Gründe. Gewichtiger waren wohl die des gegenseitigen Unverständnisses in politischen Fragen. Brechts radikale Hinwendung zum Marxismus, die Weill nicht mittrug, führte den Dichter zum ihm ähnlich denkenden Hanns Eisler und zu Lehrstücken. Diese sind voll von dem, was Brecht wohl gern Vorschläge genannt hätte, was in seiner Drastik aber mehr oder weniger unbedingten Forderungen gleichkommt. Im "Badener Lehrstück vom Einverständnis" heißt es dann auch so: „Euch fordern wir auf, mit uns zu marschieren und mit uns zu verändern nicht nur ein Gesetz der Erde, sondern das Grundgesetz”. Auf Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zielt das alles. „Darum beteiligt euch an der Bekämpfung des Primitiven, an der Liquidierung des Jenseits und der Verscheuchung jedweden Gottes”, so im Lehrstück „Der Ozeanflug”. Die Lehrstücke sind neben ihrer deutlichen Linksorientierung gekennzeichnet von fast schwärmerischer Hinwendung zur Masse, dann zur Klasse, was einher geht mit Ablehnung des großen Einzelnen, seiner Handlungsweisen und seiner Psyche. Das verstieß zwar gegen Bedürfnisse der Masse des Theaterpublikums, aber, wie Mittenzwei formuliert, „Ihn interessierte nicht, was das Publikum wollte, sondern, was es seiner Meinung nach nötig hatte.” So werben nun seine Bühnengestalten, „daß jeder uns beisteh'”. Es wirbt da um die „große Armee der guten Leute" die Heilsarmee, unter Führung der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe”, ehrlich bemüht, aber scheiternd. Das Unterdrücken von Individualität im Dienste der Mehrheit, das in allen Lehrstücken als ernsthafter Vorschlag behandelt wird, zeigt sich in seinen komischen Zügen im Text „700 Intellektuelle beten einen Öltank an”. „Lösch aus unser ich. Mache uns kollektiv”.

Das ist noch nicht das Hauptthema der späten Stücke, die kritische Behandlung der Tuis, die Wissen verkaufen und vom Missbrauch ihres Wissens im Dienste der Mächtigen profitieren, die „ihren Schnitt machen, weil sie etwas wissen”, wie es in der „Ballade vom Wissen” heißt, aber er beginnt sich dem zu nähern. Später wird kaum einer so hart behandelt, wie sie: „Wie soll der kein Schwindler sein, der den Hungernden anderes lehrt, als wie man den Hunger abschafft” Und so folgt denn auch, nun schon mehr kategorischer Imperativ als Vorschlag, „wer keine Hilfe weiß, der schweige”. Freundlich hingegen die Vorschläge an die Schauspielerin Carola Neher „Erfrische dich, Schwester”, später an „Tretjakow, gesund zu werden”. Werden die angesprochen, die sich in den Dienst der Ausgebeuteten gestellt haben, also belastbar sind, schlägt Freundlichkeit gern in Befehlston um, mindestens ins Appellative - „wir befehlen dir, den Kampf sofort aufzunehmen gegen die Krankheit” - Grund ist, er weiß, dass die wirklichen Parteiarbeiter - nicht Bonzen - nur über das Argument des Gebrauchtwerden anzuhalten sind, an sich zu denken. Zitiert sei „Wenn ein guter Mann weggehn will, womit kann man ihn halten? Sagt ihm, wozu er nötig ist. Das hält ihn”. Im großen Rahmen heißt das argumentativ ermutigend für die Linken auf der Straße das „Vorwärts und nicht vergessen, die Solidarität”.

Aus der Fülle der Vorschläge im Stück „Die Mutter”, praktisches Verhalten um „Teewasser und Macht im Staat” betreffend, sei herausgegriffen das „Lob des Lernens”, wo sie mit Freundlichkeit und Konsequenz an andere weitergibt das selbst gerade Gelernte. Hier wird Wissen unabdingbar nötig, weil es um eine Zukunft geht: „Du musst die Führung übernehmen”.

In die „Mutter” - Zeit gehört sein vielleicht wichtigstes Gedicht zum Thema des Nützlichen, voll mit großen Vorschlägen „Keinen Gedanken verschwendet an das Unabänderbare”. Das stammt von 1932 und nahm kurz darauf erst einmal den Charakter einer Utopie an. In „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe”, dem ersten Stück, das den zur Macht gekommenen Faschismus thematisiert, werden die Mitläufern des neuen Statthalters Iberin in der „Hymne des erwachenden Jahoo” Vorschläge, singen, unter Zwang, auf Choralmelodien.

Das Exil beginnt, das „grad wie aus der Welt sein”, tut weh, besonders, wenn es um Liebe geht, die zurückbleiben musste - „Fragen” in Form von Vorschlägen. In den neuen Ländern heißt es auch, mit neuen Situationen und Sichtweisen umgehen lernen. Da sind freundliche, bittende Vorschläge nötig „Gegen die Objektiven" in Sicherheit, und da wird nötig die Beschreibung der Vorgänge zu Hause, Vorschläge von Anpassern und Speichelleckern, Gezeichneten aus dem Weg zu gehen, Vorschlag einer alten Frau, ihr Elend öffentlich zu zeigen, damit „man Bescheid weiß”. List wird da eine lebensnotwendige Tugend, zu erlernen schon von den Kindern. Die Kinderlieder von 1934 zeugen davon, Beispiel das „Kleine Bettellied" mit seinen praktischen Vorschlägen, wie umzugehen ist mit geizigen Wirten.

Das freilich ist Brechts Erziehungsmethode. Im Allgemeinen gelten für Kinder dieser Zeit Vorschläge ganz anderer Art. „Was ein Kind gesagt bekommt" zeugt davon. Für die Erwachsenen wird „Wenn das bleibt, was ist” das Folgende vorgeschlagen „Was ihr habt, das gebt auf und nehmt euch, was euch verweigert wird”. Das Jahr 35 ändert alles. Wahr wird, was er in den „Rundköpfen" als Greuel an die Wand gemalt hatte, die Nürnberger Gesetze. Da wird dann einer Marie Sanders vorgeschlagen, zu ihrem Geliebten heute besser „nicht mehr zu sein, wie sie zu ihm gestern” war, eine Warnung, die ignoriert wird, mit dem bekannten Ergebnis. Ein Jahr später schon traut keiner keinem mehr. Und gerade da Brechts großer Vorschlag „Wir immer sie euch mitspielen, gebt keinen euresgleichen auf”.

Es steuert alles auf einen Krieg zu. Brecht warnt mindestens ab 1936 vor ihm, in der „Deutschen Kriegsfibel”, die sich bis 1955 durch sein Werk zieht, macht er Vorschläge, wie zu verfahren ist vor, im, oder nach dem großen Krieg. 1938 in den Deutschen Satiren Vorschlag an den Kanzler, ein Jahr später an Deutschland und im gleichen Jahr an die Söhne einer proletarischen Mutter bei Kriegsausbruch. Dass Mütter Kinder im Krieg verlieren können, wird sein großes Thema, dabei verhalten sich seine großen Müttergestalten durchaus nicht immer wie die eben zitierte. Pelageja Wlassowa und Teresa Carrar lernen aus den Kämpfen, Anna Fierling lernt nicht. Sie hat ein Geschäft und die Kriegsleute sind ihre Käufer. „Ihr Hauptleut', laßt die Trommel ruhen ...”. Die praktizierende Mutter Grusche ist weiter.

Ihr Vorschlag an den Geliebten, sich „in des Krieges Mitten zu halten”, zeugt von Realitätssinn. Und Simone Machards Vorschläge für die Zeit, „wenn der Eroberer kommt in eure Stadt" sind ganz konkrete Aufrufe zum Widerstand, es gilt hier, was Brecht schon 1935 formulierte, den „Guten Menschen von Sezuan" vorwegnehmend. „Was nützt die Güte, wenn die Gütigen sogleich erschlagen werden" und „Anstatt nur gütig zu sein, bemüht euch, einen Zustand zu schaffen, der die Güte ermöglichst, besser, sie überflüssig macht!”.

Konkrete Vorschläge „An seine Landsleute”, Überlebende, Männer, Kinder, Mütter lesen wir, nachdem der Krieg vorbei ist. Leise wird da gesprochen zu Menschen, von denen die meisten in den Jahren zuvor sehr anders dachten, als der Dichter, nicht Belastbare also. „Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben”. Der Tonfall erinnert an die große, prophetische Versbiografie vom Jahre 38, „An die Nachgeborenen”, mit ihrem vermeintlich „unbrechtisch” anrührenden Schluss "Gedenket unsrer mit Nachsicht”.

Mit Beginn des Zeitenwandels 1945, der zwar mit Skepsis, aber doch als ”. gesehen wird - „Du siehst Dunkel, vielleicht ist es Licht” - beginnt auch die Hoffnung auf konkrete Arbeit in Berlin. Vorschläge ganz praktischer Art nun, der Schauspieler Peter Lorre wird aus dem Exil zurückgerufen, obwohl ihm nichts andres zu bieten ist, als das ewige Argument des Dichters, nämlich, „daß du gebraucht wirst”. Das „Glück des Gebens” wird nun gepriesen, und, anknüpfend an das, was er schon seit langem für das Angenehmste hält, das „Freundlichsein”, die öffentlichen Beziehungen zwischen Menschen betreffend, genauso, wie die privatesten. Als „ Kleinste Größe" erscheint das, als der „Kleine Wind”, „den man kaum spürt” und der doch gut tut. Überhaupt hat Glück zu tun mit dem Niederen, mit „bäuerlichen weiten Röcken, die verrutschen" können, mit „Gaumen und Hoden” also, aber sich diesen „Glücksgöttern zu verschreiben, „könnte sich lohnen”, wenn man einander braucht und obendrein gebraucht wird von diesem „Wir”. Wie sich das Thema des Gebrauchtseins durch sein Werk zieht, so das der kritischen Haltung, vorgeschlagen für alle Bereiche des Lebens, „die Regulierung eines Flusses, die Veredlung eines Obstbaums, den Umbau eines Staates”. Alle seine Hauptgestalten haben damit zu tun, auch Galilei. Dessen Experimente werden auf dem Markt verstanden als Vorschlag, auch mal „sein eigner Herr und Meister” zu sein. Wir wissen, wie auch Galilei, angesichts der Atombombe von Brecht immer schärferer Kritik ausgesetzt ist. Überhaupt sollten die „großen Männer” kritisch gesehen werden. Man „sollte sie ehren, aber man sollte ihnen nicht glauben”, oder gar, an anderer Stelle, ihnen „eins auf die Fresse hauen” und, so sie denn Führer sind, unbedingt an ihnen zweifeln, das nun ernsthaft formuliert, mit klassischer Gültigkeit im „Lob des Zweifels, zum Umgang mit Führern aller Zeiten.

Herstellung und Ausübung von Kunst betreffend, soll neben dem schon erwähnten „Messingkauf” erinnert werden an Brechts Vorschläge, im Interesse des Volkes wahr, aber nicht volkstümlich zu schreiben, so im Vers „Da das Instrument verstimmt ist”, und in den Ruhm die Auftraggeber einzubeziehen, den Zöllner zum Beispiel, der „dem Weisen die Weisheit erst entreißt”. Der Vorschlag, aufmerksam zu sein gegenüber solchen, manchmal als unwichtig empfundenen Dingen soll genannt sein, das gilt für die Zukunft, für „einmal, wenn da Zeit sein wird”, wie für das Gegenwärtige, den Durst der Pflanzen im Garten und gar des nackten Bodens, das Wahrnehmen der Rufe des Geliebten, wie das Achtgeben auf eigne Gesundheit. Zusammengefasst heißt das im „Guten Menschen von Sezuan” „Keinen verderben zu lassen, auch nicht sich selber, jeden mit Glück zu erfüllen, auch sich, das ist gut.” Damit zunächst angelangt bei den schönen Dingen, den freundlichen Vorschlägen der Wirtin vom „Kelch”, den fast unverschämten des Père Joseph, der extra Exquisites verlangt, den kräftigen des Dichters, der ermuntert, fröhlich zuzulangen beim saftigen Lendenstück, sich also auch nicht zufrieden zu geben mit Versprechungen, ganz so wie es die „handelnd Unzufriedenen, eure großen Lehrer” beibrachten.

Da nun die alten Zeiten vorbei sind, ist für alle viel zu lernen, dass Frauen das gleiche zusteht, wie Männern, auch, wenn's ums Bier geht, dass leise sprechend besser verstanden wird, als anschreiend, dass Sorglosigkeit nicht entschuldigt werden kann, dass man nach Plänen, durchführbaren, schneller vorwärtskommt, als ohne, dass Selbstvertrauen den Aufbau des zerrissenen Deutschlands leichter man, dass „man sich um sich selber kümmern muss" und trotzdem nicht dauernd ich sagen sollte, dass das „Brot der Gerechtigkeit” nicht weniger wichtig ist als das andere Brot, kurz, demokratisches Verhalten in schlechten Zeiten. Der 17. Juni stellt alles in Frage. „Sachte, meine Lieben" schlägt der Dichter vor und steht zwischen den Fronten, engstirnigen Behörden, Kriegstreibern und den Massen. Seine Vorschläge gehen jetzt in Richtung Regierung „Wollet hören beim Reden”, „Auf die Straße geht und seht, wie der Wind weht” und „ein kräftiges Eingeständnis und ein kräftiges, wenn nicht”. Für die Unteren heißt es „Besser scheint uns doch, aufzubegehren und auf keine kleinste Freude zu verzichten”, was den Bogen schließt zu den frühen Genussvorschlägen der Hauspostille. Nicht umsonst nimmt er sich die noch mal vor, stellt sie neu zusammen und ergänzt mit „Orges Wunschliste” die „Zweite Lektion: Exerzitien” um Wünsche genannte Vorschläge, die dem Jugendfreund Georg Pflanzelt in den Mund gelegt werden. Es sind 24 diesseitige, freche, fremde, ungewöhnliche Wünsche, die enden mit dem existentiellen „Von den Leben die hellen, von den Toden die schnellen”. Unser Schluss wird der des Titelgedichts sein und der seines Vorschlags für eine neue deutsche Nationalhymne „Anmut sparet nicht, noch Mühe” ...


Die Presse meint:
„... wer wäre besser geeignet als Gina Pietsch, die eben nicht nur hin und wieder Brecht singt und spricht, wenn dies eben mal 'in' ist. ... Gina Pietsch hauchte und wisperte die Botschaften Brechts, schrie diese aber auch heraus, wenn es nötig war und fesselte damit das Publikum ... Dieses jubelte ihr, dem ebenfalls wunderbaren Begleiter am Piano sowie Brechts „Vorschlägen” zu ...”
(Märkische Oderzeitung)