Er hat Vorschläge gemacht
Gina Pietsch & Pianist
Ein neues Brecht-Programm auf einer CD
Gina Pietsch – Brechts Vorschläge betrachtend
Überlegungen zu einem Brecht-Abend, anlässlich seines 50. Todestages am 14. August 2006
Im Jahre 33 denkt der Dichter Bertolt Brecht über seinen Grabstein nach, findet,
dass er keinen braucht, und schlägt denen vor, die so 'was wollen, darauf zu
schreiben, So, meint er, könne mit ihm verfahren werden im Interesse vieler nach
seiner Zeit. Der oft besuchte, schöne, rauhe Grabstein auf dem
Dorotheenstädtischen Friedhof spart, trägt nun nur seinen Namen, bescheidener,
könnte man meinen, gemäß seinem anderen Vorschlag: „Allem, was Du
empfindest, gib die kleinste Größe”. Vorschläge also: Seine Liebe zu
diesen ist in seinem Werk nicht zu übersehen. Allein in der Lyrik kann man sie,
meiner Zählung nach, in mindestens 200 Versen finden, über 40 Jahre Schaffen,
den ersten von 1916, den letzten von 1956, die wechselnden Zeiten betreffend
genauso, wie die Vielfalt, das Schwergewicht und die immense Zahl der Themen, in
verschiedener Weise auch, von unverschämt bis abgeklärt, von witzig bis weise,
von höflich bis unerbittlich, und alles in allem von unterschiedlicher Kraft der
Einwirkung auf den Leser. Sein „Alles wandelt sich” betrifft so eben auch seine
Vorschläge.
Unser Brecht-Projekt will das untersuchen, in Texten und Liedern, spielerisch
also, mit dem Ziel, sein Leben zu erzählen als das des mit Vorschlägen in
gesellschaftliche Prozesse Eingreifenden. Letzteres gilt freilich nicht für alle
seiner Zeiten. Die frühen Vorschläge des jungen gutsituierten
Fabrikdirektorssohnes animieren zum Gegenteil, zum Faulsein im „Beschwerdelied”
aus Gymnasiastenzeiten, 1916, zum Gemütlich-und-Lässig-Gehen im Glückslied von
1919, zum Sich-Treiben-Lassen und Auf-dem-Rücken-Liegen wie im „Vom Schwimmen in
Seen und Flüssen” aus dem selben Jahr kurz nach dem „Baal”, zum
Nicht-zu-kritisch-sein im Jahre 1922. Ein Großteil der „Hauspostille” schlägt
uns in hinreißender Weise das Rauchen, Saufen, Vögeln, Segeln, Schiffsschaukeln,
Stopfen von Mädchen und Klettern auf Bäume vor und verführt mit manchmal
abstruser Logik zum extensivem Genießen unter grünen oder roten Monden. Die
Fragen, wer sich das leisten kann, kommen erst später, das Gedenken an die Opfer
solchen Verhaltens, ertrunkene Mädchen, Kindesmörderinnen, deren „Leid groß
war”, sind selten, aber desto anrührender. Dem großen Schlussvorschlag der
„Hauspostille” „Gegen Verführung”, der uns heute noch wie ein Donnerschlag gegen
Kirche und Bürgertum anmutet, steht sein „macht nur weiter so” gegenüber, das er
"Politische Betrachtung” nennt, den Dichter spielend, den's „nicht weiter
angeht”, das freilich mit dem so häufigen ironischen Unterton, uns überlassend,
ob wir's glauben oder nicht. Sentimental kann er werden bei der Vorstellung.
Rein. Sachlich. Böse genannt zu werden.
So denn auch der erste Vorschlag für seine Grabsteininschrift. Und dieses
Reinsachlichböse kennzeichnet dann gleich nach der Hauspostille seine Verse „Aus
einem Lesebuch für Städtebewohner”. Die geliebten violetten oder orangenfarbenen
Himmel kommen nun nicht mehr vor. Berlin, wo es ihn hinzog, hat solche zu
selten. Die Leute, von denen hier die Rede ist, sind „elendiglich und klein”,
was sie aber nicht mehr auszeichnet. Er gibt jetzt weiter, was ihm „gelernt
wurde”, Vorschläge, die wie Befehle klingen: „Verwisch die Spuren”, „Sage nicht
laut, die Welt sei schlecht, sag es leise”, „Laßt eure Träume fahren...was hier
gebraucht wird, ist Hackfleisch”. Das konnten nicht der Plärrer und Augsburg
lehren. Und, so sehr er sich bis an sein Ende als Augsburger, also Provinzler,
fühlen wird, das „Dickicht der Städte” in den Zwanzigern lehrt ihn anderes. Und
das kann wechseln in den verschiedenen Zeiten, „Hier hast du ein Heim" kann
morgen heißen „Du hast denen eigenen Teller” und am vierten Tage „Eine Nacht.
Aber das kostet extra”.
Aus den Versen schlägt uns Härte, Kälte und Entindividualisierung entgegen, die
uns heute mehr erschreckt, als es Brecht erschreckt haben soll. Der sprach,
anders als Tucholsky, welcher Berlin als „nackt und brutal und mit einem saubern
kleinen Willen zur Diktatur”, beschreibt, von der gleichen Stadt beim ersten
Besuch 1920 noch als von einer „wundervollen Angelegenheit”. Und ähnlich wie in
den eben zitierten „Vier Aufforderungen an einen Mann von verschiedener Seite zu
verschiedenen Zeiten" wird sich seine Haltung verschärfen. 1921, sicher geprägt
von ersten gescheiterten Versuchen, diese Stadt als Theatermann zu erobern: „Es
ist eine graue Stadt, eine gute Stadt, ich trolle mich so durch. Da ist Kälte,
friß sie.” Und noch 1930 wird er sagen, nach den verbrieften Erfolgen, wie dem
der „Dreigroschenoper”, „Ich habe mich schwer an die Städte gewöhnt”. Im
„Lesebuch für Städtebewohner” wird diese Kälte beschrieben, ohne Mitleid und
Zorn. Nietzsche gelesen, drehen sich die Vorschläge jetzt ums Durchkommen und
ums dadurch Starkwerden. Aber es beginnt auch, was sich dann bis an sein Ende
durchzieht, die Ehrung des Nützlichen und die Notwendigkeit des Bleibens bei
denen, die Unentbehrliches tun. „Setze also deinen Namen nicht auf die nicht
abreißende Liste der Abgefallenen”, heißt es hier 1927 und wird es noch oft
heißen, je mehr er sich hingezogen fühlt und Teil wird der Leute, die für mehr
als für sich selber streiten. Und ebenso bemerkenswert und Zeichen für ein neues
Denken bei Brecht das Schlussgedicht „Anleitung für die Oberen" mit seinem
Vorschlag, den Unbekannten Soldaten zu ehren.
Das ansonsten fast Kokettieren mit Sachlichkeit, Schonungslosigkeit, Kälte und
Härte prägt um die Jahre 26/27 vieles in seinen Werken. Großartig geschrieben
und abschreckend durch fast pornografische Offenheit die „Rat”- oder
Vor-"schläge einer älteren Fose an eine jüngere”, die als ein Interludium für
"Baal" gedacht waren, den er nach der Uraufführung in Leipzig im Jahre 23 weiter
anbieten wollte, mindestens Aufricht im Jahre 28.
Das Thema Prostitution, als Zuspitzung des Verkaufs menschlicher Ware wird ihn
beschäftigen bis zur „Courage”, so auch in der Arbeit mit Kurt Weill und mit
"Mahagonny”, das Anfang - als Songspiel - und Ende - als Oper - dieser für beide
äußerst fruchtbaren Arbeit wurde. Hier wird zu hören sein der als Denunziation
der Mahagonny-Utopie gemeinte, beim Publikum aber mehr kulinarisch verstandene
"Alabama-Song" mit seinen simplen „Vorschlägen”, Whisky und Dollars zu finden,
bevor es ans Ende geht. Innerhalb dieser kurzen Zeit von vier Jahren unterliegt
Brechts Amerika-Bild einem enormen Wandel, von bedingungsloser Schwärmerei zu
härtester Kritik, was bekannterweise seinen Studien der Vorgänge an der
Weizenbörse Chicagos geschuldet ist. Da zieht nun die Industrie ein in seine
Verse, schon in die Kinderlieder. „Kranlieder" schreibt er: „Beiß, Greifer,
beiß”. Bis daraus mehr wird, dauert es noch. 1927 ist ein Sackgassenjahr, die
Fragmente zeugen davon. Das „Ändere die Welt, sie braucht es”, so erst in der
"Maßnahme" formuliert, fängt jetzt an bei „Fatzer”, genauer, dem Fragment
gebliebenen Stück „Untergang des Egoisten Johann Fatzer”. Bis er an der Stelle
weitermachen kann, was ihn mit zunehmenden Marx-Studien mehr beschäftigt, muss
seine Kunst erst mal nach Brot gehen. Nicht ahnend, dass es beider Welterfolg
wird, seiner und der Weills, entsteht die „Dreigroschenoper" mit ihren zu Betrug
und Missetat als Geschäft oder Geschäft als Betrug und Missetat auffordernden
"Vorschlägen" „Wach auf, du verrotteter Christ" oder „...nur auf seinen niedern
Vorteil schauen”.
Im Übrigen sollte man den Menschen „auf den Hut hauen”, da „erst das Fressen und
dann die Moral kommt” oder, wie es im ehemals für das Stück geplanten „Ehesong”
heißt „auf alles einen Kognak" nehmen. Das kam, wie wir wissen, beim Bürger viel
besser an, als geplant, und wurde dann in den Hits aus „Happy-End" mit „Rascher,
Johnny, he” kulinarisch und höchst erfolgreich noch einmal fortgesetzt.
Herausfällt aus der Darstellung vornehmlich zuhälterisch geprägter Beziehungen
zwischen Mann und Frau - „zweitens kommt der Liebesakt” - auch in Brecht-Weills
großem Streitobjekt „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” das Duett zwischen
Jenny und Jim „Sieh jene Kraniche in großem Bogen!”. Schon vorher geschrieben,
1928, als „Terzinen über die Liebe”, gilt es in seiner Zartheit und dem
gleichzeitig vorhandenen Realitätssinn bis heute als eines der schönsten
Liebesgedichte unserer Literatur.
Der Streit der Autoren hatte bekannterweise nicht nur ästhetische Gründe.
Gewichtiger waren wohl die des gegenseitigen Unverständnisses in politischen
Fragen. Brechts radikale Hinwendung zum Marxismus, die Weill nicht mittrug,
führte den Dichter zum ihm ähnlich denkenden Hanns Eisler und zu Lehrstücken.
Diese sind voll von dem, was Brecht wohl gern Vorschläge genannt hätte, was in
seiner Drastik aber mehr oder weniger unbedingten Forderungen gleichkommt. Im
"Badener Lehrstück vom Einverständnis" heißt es dann auch so: „Euch fordern wir
auf, mit uns zu marschieren und mit uns zu verändern nicht nur ein Gesetz der
Erde, sondern das Grundgesetz”. Auf Veränderung der gesellschaftlichen
Verhältnisse zielt das alles. „Darum beteiligt euch an der Bekämpfung des
Primitiven, an der Liquidierung des Jenseits und der Verscheuchung jedweden
Gottes”, so im Lehrstück „Der Ozeanflug”. Die Lehrstücke sind neben ihrer
deutlichen Linksorientierung gekennzeichnet von fast schwärmerischer Hinwendung
zur Masse, dann zur Klasse, was einher geht mit Ablehnung des großen Einzelnen,
seiner Handlungsweisen und seiner Psyche. Das verstieß zwar gegen Bedürfnisse
der Masse des Theaterpublikums, aber, wie Mittenzwei formuliert, „Ihn
interessierte nicht, was das Publikum wollte, sondern, was es seiner Meinung
nach nötig hatte.” So werben nun seine Bühnengestalten, „daß jeder uns
beisteh'”. Es wirbt da um die „große Armee der guten Leute" die Heilsarmee,
unter Führung der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe”, ehrlich bemüht, aber
scheiternd. Das Unterdrücken von Individualität im Dienste der Mehrheit, das in
allen Lehrstücken als ernsthafter Vorschlag behandelt wird, zeigt sich in seinen
komischen Zügen im Text „700 Intellektuelle beten einen Öltank an”. „Lösch aus
unser ich. Mache uns kollektiv”.
Das ist noch nicht das Hauptthema der späten Stücke, die kritische Behandlung
der Tuis, die Wissen verkaufen und vom Missbrauch ihres Wissens im Dienste der
Mächtigen profitieren, die „ihren Schnitt machen, weil sie etwas wissen”, wie es
in der „Ballade vom Wissen” heißt, aber er beginnt sich dem zu nähern. Später
wird kaum einer so hart behandelt, wie sie: „Wie soll der kein Schwindler sein,
der den Hungernden anderes lehrt, als wie man den Hunger abschafft” Und so folgt
denn auch, nun schon mehr kategorischer Imperativ als Vorschlag, „wer keine
Hilfe weiß, der schweige”. Freundlich hingegen die Vorschläge an die
Schauspielerin Carola Neher „Erfrische dich, Schwester”, später an „Tretjakow,
gesund zu werden”. Werden die angesprochen, die sich in den Dienst der
Ausgebeuteten gestellt haben, also belastbar sind, schlägt Freundlichkeit gern
in Befehlston um, mindestens ins Appellative - „wir befehlen dir, den Kampf
sofort aufzunehmen gegen die Krankheit” - Grund ist, er weiß, dass die
wirklichen Parteiarbeiter - nicht Bonzen - nur über das Argument des
Gebrauchtwerden anzuhalten sind, an sich zu denken. Zitiert sei „Wenn ein guter
Mann weggehn will, womit kann man ihn halten? Sagt ihm, wozu er nötig ist. Das
hält ihn”. Im großen Rahmen heißt das argumentativ ermutigend für die Linken auf
der Straße das „Vorwärts und nicht vergessen, die Solidarität”.
Aus der Fülle der Vorschläge im Stück „Die Mutter”, praktisches Verhalten um
„Teewasser und Macht im Staat” betreffend, sei herausgegriffen das „Lob des
Lernens”, wo sie mit Freundlichkeit und Konsequenz an andere weitergibt das
selbst gerade Gelernte. Hier wird Wissen unabdingbar nötig, weil es um eine
Zukunft geht: „Du musst die Führung übernehmen”.
In die „Mutter” - Zeit gehört sein vielleicht wichtigstes Gedicht zum Thema des
Nützlichen, voll mit großen Vorschlägen „Keinen Gedanken verschwendet an das
Unabänderbare”. Das stammt von 1932 und nahm kurz darauf erst einmal den
Charakter einer Utopie an. In „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe”, dem ersten
Stück, das den zur Macht gekommenen Faschismus thematisiert, werden die
Mitläufern des neuen Statthalters Iberin in der „Hymne des erwachenden Jahoo”
Vorschläge, singen, unter Zwang, auf Choralmelodien.
Das Exil beginnt, das „grad wie aus der Welt sein”, tut weh, besonders, wenn es
um Liebe geht, die zurückbleiben musste - „Fragen” in Form von Vorschlägen. In
den neuen Ländern heißt es auch, mit neuen Situationen und Sichtweisen umgehen
lernen. Da sind freundliche, bittende Vorschläge nötig „Gegen die Objektiven" in
Sicherheit, und da wird nötig die Beschreibung der Vorgänge zu Hause, Vorschläge
von Anpassern und Speichelleckern, Gezeichneten aus dem Weg zu gehen, Vorschlag
einer alten Frau, ihr Elend öffentlich zu zeigen, damit „man Bescheid weiß”.
List wird da eine lebensnotwendige Tugend, zu erlernen schon von den Kindern.
Die Kinderlieder von 1934 zeugen davon, Beispiel das „Kleine Bettellied" mit
seinen praktischen Vorschlägen, wie umzugehen ist mit geizigen Wirten.
Das freilich ist Brechts Erziehungsmethode. Im Allgemeinen gelten für Kinder
dieser Zeit Vorschläge ganz anderer Art. „Was ein Kind gesagt bekommt" zeugt
davon. Für die Erwachsenen wird „Wenn das bleibt, was ist” das Folgende
vorgeschlagen „Was ihr habt, das gebt auf und nehmt euch, was euch verweigert
wird”. Das Jahr 35 ändert alles. Wahr wird, was er in den „Rundköpfen" als
Greuel an die Wand gemalt hatte, die Nürnberger Gesetze. Da wird dann einer
Marie Sanders vorgeschlagen, zu ihrem Geliebten heute besser „nicht mehr zu
sein, wie sie zu ihm gestern” war, eine Warnung, die ignoriert wird, mit dem
bekannten Ergebnis. Ein Jahr später schon traut keiner keinem mehr. Und gerade
da Brechts großer Vorschlag „Wir immer sie euch mitspielen, gebt keinen
euresgleichen auf”.
Es steuert alles auf einen Krieg zu. Brecht warnt mindestens ab 1936 vor ihm, in
der „Deutschen Kriegsfibel”, die sich bis 1955 durch sein Werk zieht, macht er
Vorschläge, wie zu verfahren ist vor, im, oder nach dem großen Krieg. 1938 in
den Deutschen Satiren Vorschlag an den Kanzler, ein Jahr später an Deutschland
und im gleichen Jahr an die Söhne einer proletarischen Mutter bei
Kriegsausbruch. Dass Mütter Kinder im Krieg verlieren können, wird sein großes
Thema, dabei verhalten sich seine großen Müttergestalten durchaus nicht immer
wie die eben zitierte. Pelageja Wlassowa und Teresa Carrar lernen aus den
Kämpfen, Anna Fierling lernt nicht. Sie hat ein Geschäft und die Kriegsleute
sind ihre Käufer. „Ihr Hauptleut', laßt die Trommel ruhen ...”. Die
praktizierende Mutter Grusche ist weiter.
Ihr Vorschlag an den Geliebten, sich „in des Krieges Mitten zu halten”, zeugt
von Realitätssinn. Und Simone Machards Vorschläge für die Zeit, „wenn der
Eroberer kommt in eure Stadt" sind ganz konkrete Aufrufe zum Widerstand, es gilt
hier, was Brecht schon 1935 formulierte, den „Guten Menschen von Sezuan"
vorwegnehmend. „Was nützt die Güte, wenn die Gütigen sogleich erschlagen werden"
und „Anstatt nur gütig zu sein, bemüht euch, einen Zustand zu schaffen, der die
Güte ermöglichst, besser, sie überflüssig macht!”.
Konkrete Vorschläge „An seine Landsleute”, Überlebende, Männer, Kinder, Mütter
lesen wir, nachdem der Krieg vorbei ist. Leise wird da gesprochen zu Menschen,
von denen die meisten in den Jahren zuvor sehr anders dachten, als der Dichter,
nicht Belastbare also. „Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben”. Der Tonfall
erinnert an die große, prophetische Versbiografie vom Jahre 38, „An die
Nachgeborenen”, mit ihrem vermeintlich „unbrechtisch” anrührenden Schluss
"Gedenket unsrer mit Nachsicht”.
Mit Beginn des Zeitenwandels 1945, der zwar mit Skepsis, aber doch als ”.
gesehen wird - „Du siehst Dunkel, vielleicht ist es Licht” - beginnt auch die
Hoffnung auf konkrete Arbeit in Berlin. Vorschläge ganz praktischer Art nun, der
Schauspieler Peter Lorre wird aus dem Exil zurückgerufen, obwohl ihm nichts
andres zu bieten ist, als das ewige Argument des Dichters, nämlich, „daß du
gebraucht wirst”. Das „Glück des Gebens” wird nun gepriesen, und, anknüpfend an
das, was er schon seit langem für das Angenehmste hält, das „Freundlichsein”,
die öffentlichen Beziehungen zwischen Menschen betreffend, genauso, wie die
privatesten. Als „ Kleinste Größe" erscheint das, als der „Kleine Wind”, „den man
kaum spürt” und der doch gut tut. Überhaupt hat Glück zu tun mit dem Niederen,
mit „bäuerlichen weiten Röcken, die verrutschen" können, mit „Gaumen und Hoden”
also, aber sich diesen „Glücksgöttern zu verschreiben, „könnte sich lohnen”,
wenn man einander braucht und obendrein gebraucht wird von diesem „Wir”. Wie
sich das Thema des Gebrauchtseins durch sein Werk zieht, so das der kritischen
Haltung, vorgeschlagen für alle Bereiche des Lebens, „die Regulierung eines
Flusses, die Veredlung eines Obstbaums, den Umbau eines Staates”. Alle seine
Hauptgestalten haben damit zu tun, auch Galilei. Dessen Experimente werden auf
dem Markt verstanden als Vorschlag, auch mal „sein eigner Herr und Meister” zu
sein. Wir wissen, wie auch Galilei, angesichts der Atombombe von Brecht immer
schärferer Kritik ausgesetzt ist. Überhaupt sollten die „großen Männer” kritisch
gesehen werden. Man „sollte sie ehren, aber man sollte ihnen nicht glauben”,
oder gar, an anderer Stelle, ihnen „eins auf die Fresse hauen” und, so sie denn
Führer sind, unbedingt an ihnen zweifeln, das nun ernsthaft formuliert, mit
klassischer Gültigkeit im „Lob des Zweifels, zum Umgang mit Führern aller
Zeiten.
Herstellung und Ausübung von Kunst betreffend, soll neben dem schon erwähnten
„Messingkauf” erinnert werden an Brechts Vorschläge, im Interesse des Volkes
wahr, aber nicht volkstümlich zu schreiben, so im Vers „Da das Instrument
verstimmt ist”, und in den Ruhm die Auftraggeber einzubeziehen, den Zöllner zum
Beispiel, der „dem Weisen die Weisheit erst entreißt”. Der Vorschlag, aufmerksam
zu sein gegenüber solchen, manchmal als unwichtig empfundenen Dingen soll
genannt sein, das gilt für die Zukunft, für „einmal, wenn da Zeit sein wird”,
wie für das Gegenwärtige, den Durst der Pflanzen im Garten und gar des nackten
Bodens, das Wahrnehmen der Rufe des Geliebten, wie das Achtgeben auf eigne
Gesundheit. Zusammengefasst heißt das im „Guten Menschen von Sezuan” „Keinen
verderben zu lassen, auch nicht sich selber, jeden mit Glück zu erfüllen, auch
sich, das ist gut.” Damit zunächst angelangt bei den schönen Dingen, den
freundlichen Vorschlägen der Wirtin vom „Kelch”, den fast unverschämten des Père
Joseph, der extra Exquisites verlangt, den kräftigen des Dichters, der
ermuntert, fröhlich zuzulangen beim saftigen Lendenstück, sich also auch nicht
zufrieden zu geben mit Versprechungen, ganz so wie es die „handelnd
Unzufriedenen, eure großen Lehrer” beibrachten.
Da nun die alten Zeiten vorbei sind, ist für alle viel zu lernen, dass Frauen das gleiche zusteht, wie Männern, auch, wenn's ums Bier geht, dass leise
sprechend besser verstanden wird, als anschreiend, dass Sorglosigkeit nicht entschuldigt werden kann, dass man nach Plänen, durchführbaren, schneller
vorwärtskommt, als ohne, dass Selbstvertrauen den Aufbau des zerrissenen Deutschlands leichter man, dass „man sich um sich selber kümmern muss" und
trotzdem nicht dauernd ich sagen sollte, dass das „Brot der Gerechtigkeit” nicht weniger wichtig ist als das andere Brot, kurz, demokratisches Verhalten in
schlechten Zeiten. Der 17. Juni stellt alles in Frage. „Sachte, meine Lieben" schlägt der Dichter vor und steht zwischen den Fronten, engstirnigen Behörden, Kriegstreibern und den Massen. Seine Vorschläge gehen jetzt in Richtung
Regierung „Wollet hören beim Reden”, „Auf die Straße geht und seht, wie der Wind weht” und „ein kräftiges Eingeständnis und ein kräftiges,
wenn nicht”. Für die Unteren heißt es „Besser scheint uns doch, aufzubegehren und auf keine kleinste Freude zu verzichten”, was den Bogen
schließt zu den frühen Genussvorschlägen der Hauspostille. Nicht umsonst nimmt er sich die noch mal vor, stellt sie neu zusammen und ergänzt mit „Orges
Wunschliste” die „Zweite Lektion: Exerzitien” um Wünsche genannte Vorschläge, die dem Jugendfreund Georg Pflanzelt in den Mund gelegt
werden. Es sind 24 diesseitige, freche, fremde, ungewöhnliche Wünsche, die enden mit dem existentiellen „Von den Leben die hellen, von den Toden die schnellen”. Unser Schluss wird der des Titelgedichts sein und der seines
Vorschlags für eine neue deutsche Nationalhymne „Anmut sparet nicht, noch
Mühe” ...
Die Presse meint:
„... wer wäre besser geeignet als Gina Pietsch, die eben nicht nur hin und wieder Brecht singt und spricht, wenn dies eben mal 'in' ist. ... Gina Pietsch hauchte und wisperte die Botschaften Brechts, schrie diese aber auch heraus, wenn es nötig war und fesselte damit das Publikum ... Dieses jubelte ihr, dem ebenfalls wunderbaren Begleiter am Piano sowie Brechts „Vorschlägen” zu ...”
(Märkische Oderzeitung)