Erich Kästner
zum 40. Todestag am 29. Juli 2014
Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?
Er kannte es gut, der Dichter Erich Kästner. Zwei Weltkriege hatte er miterlebt, deren Vorbereitungen und Auswirkungen, ein Kaiserreich als Schüler, und das größenwahnsinnige Dritte als ein verbotener, aber daheimgebliebener Schriftsteller. Wie wenig die eine Republik aus dem ersten, die andere aus dem zweiten großen Krieg gelernt hatte, war dem blitzgescheiten und wirklichem Dichter Kästner nicht nur klar, sondern immer Triebkraft, darüber zu schreiben.
Von seinem Freund, und Kollegen Hermann Kesten erfahren wir, dass er in Deutschland bleiben wollte, um Augenzeuge der kommenden Greuel zu sein, also den Roman der Nazidiktatur zu schreiben. Stefan Heym zweifelt daran ein wenig: Macht Kästner sich etwas vor? Sieht er nicht, was da auf ihn zu kommt? Glaubt er, man wird ihn verschonen, weil er zufällig kein Jude ist?.
Natürlich sah er. Er stand ja selbst in der Menge, als seine Bücher auf dem Bebelplatz in den Flammen landeten, begleitet vom Feuerspruch: Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner. Und natürlich zeugt sein Werk von allem anderen als Blauäugigkeit, wenn er auch sicher nicht von Anfang an diesen unausdenkbaren, infernalischen Wahnsinn des Faschismus ahnen konnte, den er später nach dem Ansehen der amerikanischen Filme von der Befreiung der KZs sah. Was in den Lagern geschah, ist so fürchterlich, dass man darüber nicht schweigen darf und nicht sprechen kann.
Aber freilich schreibt darüber, wenn es auch er kein Roman wird, wie sein „Fabian”, dem bedeutendsten Roman der Neuen Sachlichkeit. Wie ein Großteil seines Werkes war dieser Roman autobiografisch geprägt und wie ein Großteil seines Werkes blieb er seinem Vorhaben treu, die Bösen und Beschränkten zu ärgern. Wenn es durchaus auch Kritiker gab, die Erich Kästner das nicht bestätigt hätten – er hat sie geärgert, Militaristen, Faschisten, Spießer, sogenannte Klassefrauen, Sergeanten und und und. Das immer literarisch, ästhetisch, ohne besondere ideologische oder politische Bindung, und doch mehrfach in Gestapohaft, und lebensgefährlich bedroht. Es reichte eben, dass er ein Moralist sein wollte, sozialreformerisch, aber mit spitzer Zunge, wunderbarem Humor und dem großem Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Hilfe, einer, der Sprechbühne und Kabarett eine Unzahl anrührender und witziger Texte schenkte, die Komponisten, Rezitatoren und Sänger anzogen.
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Zwischen 33 und 45 gibt es wenig davon. Er, der erst spät Vater wurde, wird der Kinderbuchautor, „Emil und die Detektive” machen ihn weltberühmt, nicht zuletzt eine lebensrettende Maßnahme. Er schreibt für den Film, „Münchhausen” mit ein bisschen Sklavensprache, aber erfolgreich, da mit Hans Albers in der Hauptrolle. Und er schreibt Dokumentarisches, Kriegstagebücher und sein „Notabene”, alles zur Vorbereitung des dann doch nicht kommenden großen Romans über Deutschlands beschämendste Zeit. Danach: Er in München, da ausgebombt in Berlin. Die Zeiten haben sich geändert, aber seine Freude darüber muss sich in Grenzen halten. Dass er zusammen mit Dichterkollegen wie Ingeborg Bachmann, Peter Weiss, Heinrich Böll erfolgreich protestieren konnte gegen die Debatte zur Verjährung von Naziverbrechen, war mehr als nötig, denn die alten und neuen Nazis saßen schon wieder an entscheidenden Positionen. Und im Oktober 1965 gab es am Düsseldorfer Rheinufer auch wieder Bücherbrennungen, organisiert vom Evangelischen Jugendbund für entschiedenes Christentum und gebilligt vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister. Und da ist der Vietnamkrieg, gegen den er, wie viele progressive Menschen, bei Ostermärschen protestiert.
Um Erich Kästner wurde sich viel gestritten, und das geht bis heute, nicht über den freundlichen Kinderbuchautor, nach dem über 50 westdeutsche Schulen benannt worden sind, nicht über witzig Erotisches in seinen Gedichten, wohl aber über den scharfsinnigen Kritiker deutscher Verhältnisse, den Antimilitaristen und Antifaschisten Erich Kästner.
Da unterschieden sich schon die Schullesebücher der DDR und der BRD und gesiegt hat mit ihrer Kästner-Auswahl die Letztere. Also kein „Sergeant Waurich”, kein „Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn”, kein „Marschlied 1945”.
Schon deshalb bleibt uns Verpflichtung, ihn zu ehren, nicht nur am 29. Juli.
Gina Pietsch
(Erstgedruckt in UNSER BLATT Juli 2014)